Timisoara

Ich bin angekommen. Der große Stress (wie immer bei Reiseantritt) ist vorbei. Ich bin in Rumänien und,es geht weiter. 


Apropos Bukarest: Die Stadt hat mir wieder gut gefallen.


Bukarest oder „das Paris des Ostens“, wie es genannt wird. Tatsächlich ist es eine sehr quirlige Stadt und speziell das Zentrum ist sehr partytauglich. Die Stadt, in der ca. 1,7 Millionen Menschen leben, wurde der Legende nach von einem Hirten mit dem Namen Bucur gegründet. Sie wurde urkundlich im Jahre 1459 erwähnt und das Dokument stammte von Vlad Tepes Dracul, der dann später unter dem Namen Dracula berühmt werden sollte. Allerdings ist Dracula eine Erfindung, während Vlad Tepes, auch genannt „der Pfähler“ tatsächlich gelebt hat und in seiner Amtszeit viele Menschen durch Pfählen gefoltert und getötet hat. Das inspirierte Bram Stocker zu dem Buch „Dracula“. 


In der Stadt hat die Firma Dacia ihren Sitz, mehrere Maschinenbauer, Petrog (Erdöl und Erdgas) sowie Softwin als größter Softwarehersteller. Es gibt hier 16 staatliche und 12 private Universitäten, mehrere Hochschulen und 5 Akademien. Peter Herbolzheimer stammt von hier, genau so wie Ilse Nastase, Edward G. Robinson und Black Angelika.


Der Wecker steht auf 5 Uhr, weil der Flieger recht früh geht. Was soll‘s? 

Ich wurde vor dem Wecker wach, duschen, Kaffee, los. Gepackt habe ich gestern schon. Ich bin zeitig unterwegs und erwische einen früheren Bus zum Airport. Hier geht das Zittern wieder los: geht das mit dem Handgepäck gut?


Um es kurz zu machen: es ging gut. Niemand interessierte sich dafür. 

Es war eine kleine Propellermaschine mit je 2 Sitzen links und rechts. Ich saß am Fenster und hatte einen recht breiten Nachbarn. So hatten wir beide 1 1/2 Stunden lang intensiven Körperkontakt. Der Himmel war wolkenlos und wir flogen lange über ein Gebirge. Unter uns kahle Felsen und in den Tälern Wälder. Keine Straßen, keine Siedlungen. Hier sagen sich wahrscheinlich Wolf und Bär „gute Nacht“. Eine unendlich große Mondlandschaft. Später waren dann die Berge auch bis zu den Gipfeln bewaldet und dann erschienen die ersten Felder. Und dann war ich in Timisoara. 










Timișoara oder Temeschwar ist die drittgrößte Stadt in Rumänien (nach Bukarest und Cluj). Sie liegt quasi in dem Dreieck zwischen Serbien und Ungarn. Die Stadt wird auch Primus Oras Liber (die erste freie Stadt) genannt, weil hier die ersten anti-Ceausescu - Proteste aufflammten. In 2021 war es Kulturhauptstadt. Die Stadt hat 250.000 Einwohner und wurde im Jahre 500 gegründet, damals noch unter dem Namen Beguey. Die Tataren waren hier, die Österreicher und die Ungarn. Die überwiegend deutschstämmige Bevölkerung litt nach dem 2. Weltkrieg unter Enteignungen und Deportation / Zwangsarbeit. 1956 kam dann der Volksaufstand, ausgelöst von Studenten wegen des schlechten Mensaessens und der überfüllten Wohnheime. Das war der Anfang der Unruhen. Die dann in der Rumänischen Revolution von 1989 mündeten. Im Dezember des Jahres wurde dann Ceausescu und seine Frau Elena standrechtlich erschossen. Heute leben neben den Rumänen noch 5000 Deutsche, 5000 Serben und 15000 Ungarn in der Stadt.

In den 2000er Jahren hausten mehrere Gruppen von je ca. 100 Kindern zwischen 6 und 17 Jahren in der Kanalisation der Stadt (die Rattenkinder). Heute sind es weniger, aber die Kriminalität und Drogenprobleme in dieser Altersgruppe ist hoch. Prostitution und Menschenhandel sowie Schwarzhandel mit unversteuerten Zigaretten ist weit verbreitet.Die Stadt ist bekannt wegen der wunderschönen Architektur und der vielen Grünflächen und Parks. Sie ist ein Zentrum der elektro- und Baumaschinenindustrie und der IT-Branche und es gibt hier viele Automobilzulieferer.


Am Flughafen war irgendwas los. Wir waren gelandet, durften aber nicht aussteigen. Nach 10 Minuten gingen dann die Türen auf. In der Gepäckhalle war es dunkel und die Bänder standen still. Und dann war auch noch die Türe nach draußen abgeschlossen. Ratlos stanen wir schweigend vor der verschlossenen Türe. 

Dann kam jemand und machte das Schloss auf. Draußen ging ich dann schnell zur Bushaltestelle, aber der Bus war weg. Der nächste würde in 90 Minuten kommen. 

Aber an der Haltestelle standen 2 schwarze Limousinen und 6-8 unauffällige, dunkle SUVs. Und die fuhren dann in Kolonne zusammen weg. Wahrscheinlich war das Durcheinander am Airport von denen und irgendeinem Promi verursacht. Shit. Jetzt musste ich mir einen Uber holen, um in die Innenstadt zu gelangen.

Dort wartete der Gastgeber schon auf mich und zeigte mir sehr freundlich die Gegebenheiten. Ich habe ein großes Zimmer im nett bepflanzten Hinterhof mit Bad und nebenan mit einer Küche zur gemeindamen Verwendung. Cool. 

20 Minuten brauchte ich in das Zentrum. Der Weg ging durch ein reines Wohnviertel, und dann, hinter dem Fluss Bega, sah man schon die wunderschöne Kathedrale. Und da war ich dann auch schon im Zentrum. Von der Kathedrale aus führt die riesige Piata Victoriei mit Shops und Grünanlagen in der Mitte weiter in das Zentrum. Die eine Seite wird Corso genannt, die andere Surrogate. 














Bei dem tollen Wetter ist wahrscheinlich auch Bielefeld schön, aber hier wirkt es anders und macht gute Laune. Es gibt viele alte Gebäude, manche perfekt restauriert, manche mit Folien verdeckt, bis die Arbeiten vollendet sind. 


Hier sind nur Fußgänger und immer wieder taucht ein großer, prächtiger Platz auf. 












Während in Bukarest alle 30m eine Bäckerei mit leckeren Kleinigkeiten ist, muss ich hier lange laufen. 

Aber dann gab es eine noch warmen, großen Apfelstrudel für schlanke 1€. Lecker!

In dem ältesten Haus der Stadt (Anfang 18. Jahrhundert) ist eine Kunstausstellung, aber ich bin leider zu früh. 


Also hehe ich in das Museum des Aufstandes. Es ist in einem alten Militärgebäude und überwiegend textlich aufgebaut. Es ist mehr eine Dokumentation der Ereignisse von damals. Exponate fehlen komplett. 


So ist es ziemlich anstrengend, sich das Ganze anzusehen. Aber die Geschichte ist spannend und furchtbar.

Einerseits wird beschrieben, was hier nach dem Krieg passiert ist (Deportation der Deutschen nach Russland, Ausbeutung der Rumänen durch die Russen), und wie Ceausescu  die Macht an sich gebunden hat. 

Seine Geheimpolizei war überall und war mit den Aktionen nicht zimperlich. Menschen, die aufmuckten, kamen schnell ins Gefängnis oder verschwanden. Intellektuelle wurden prophylaktisch inhaftiert, um diese Störungsquelle zu beseitigen. 

Auf der anderen Seite war die Versorgungslage (Wasser, Strom, Lebensmittel) katastrophal. Aber sagen durfte man nichts. 
















Das Ganze fing hier an, weil ein aufmüpfiger Geistlicher ohne Grund von hier versetzt werden sollte. Er sprach mit seiner Gemeinde und die hielten zu ihm. 20-30 Leute versammelten sich vor der Kirche. Am Abend waren es über 100. der Bürgermeister versprach, sich darum zu kümmern und forderte die Leute auf, am nächsten Tag wieder zu kommen und sich das Ergebnis anzuhören. 

Am Tag drauf waren 400 Leute auf dem Platz. Es gab kein befriedigendes Ergebnis und die Menschen wurden unruhig. Es ging nicht mehr nur um den Pfarrer, es ging ums Prinzip. Mehr und mehr Menschen kamen und erste Rufe „Nieder mit Ceausescu“ wurden laut. 

Das Militär kam und es gab Tote. Mehr Menschen kamen in die Stadt. Es wurde ohne Warnunggeschossen und Demonstranten wurden von Panzern überrolt. 

Schließlich waren extrem viele Menschen auch aus der Gegend in der Stadt und das Militär zog sich zurück. 

Man formulierte einen Forderungskatalog an Ceausescu, der ihn unter anderem dazu aufforderte, denLeuten in Bukarest die Lage zu erläutern.

Er aber sprach von einzelnen Hooligans in Timisoara, aber das Volk hatte schon von dem Aufstand gehört. Und so begann der Aufstand wenige Tage nach Timisoara auch in den anderen Großstädten wie Sibiu, Brasov, Bukarest und Cluj. 

Es hat viele Tote und Verletzte gegeben, aber dann kamen Ceausescu und seine Frau vor Gericht und wurden verurteilt und erschossen. 


Wie gesagt, es gab in dem Museum überwiegend Tafeln an der Wand mit den Infos in Rumänisch und Englisch. Nur ein Zwischenraum war anders. Man ging durch schwarze Tücher in einen fast dunklen Raum. Und da ertönten dann (aus dem Lautsprecher) Schüsse. 

Da konnte man nach der Lektüre der Gräuelgeschichte leicht einen Herzinfarkt bekommen. 


Es gab auch noch eine spezielle Abteilung für Frauenschicksale. Hier waren Bilder und Geschichten/Interviews von Frauen zu lesen, die in der dunklen Zeit gefangen oder deportiert worden waren. 

Ich war über 3 Stunden in dem Museum (viel zu lesen) und es war beeindruckend und sehr erschreckend. Eine schlimme Zeit.


Zum Ausgleich bin ich dann (nachdem ich mir was zu essen und einen Kaffee besorgt hatte) auf den Pflanzenturm geklettert. 














Das ist ein 4 oder 5-stöckiger Turm aus Gerüstbauteilen, wo auf den einzelnen Etage viele Pflanzen präsentiert werden. 

Einerseits sehr lehrreich, andererseits aber auch eine grandiose Aussicht über die Stadt. 

Obwohl - ganz oben schwankte der Turm ein wenig. Aber es gab ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem. Unten stand ein Mädchen mit einem kleinen Eimer mit roten Chips. Jeder Besucher bekam einen Chip, den er am Schluss zurückgeben musste, und wenn die alle waren, durfte niemand mehr auf den Turm. Man kann Dinge wirklich einfach gestalten!


Auf dem Weg zurück in die Herberge schellte mein Telefon. Überraschung! Es war Daniel, ein Rumäne, den ich vor 2 Jahren in Sighisoara kennengelernt hatte. Er hatte mir damals die Wehrdörfer (unter anderem Viscri) gezeigt und erklärt. Durch social media sind wir in Verbindung geblieben und haben uns auch ab und zu mal geschrieben. Ich hätte ihn gerne mit Daggi zusammen besucht, aber das hat ja leider nicht geklappt. 

Ich fand das sehr schade und er wohl auch. Deshalb meinte er: dann komm nächstes Jahr, dann lade ich euch zu mir ein und koche ungarischen Gulasch. 

Wie der Zufall es wollte, hatte auch George gestern angekündigt: wenn ich noch mal nach Bukarest komme, würden wir uns bei ihm zuhause treffen bei einem typischen rumänischen Mahl. 

Verführerisch! 


Dann kam der Abend und ich machte mich auf, Nahrung aufzunehmen. Der Reiseführer empfahl die Uni-Gegend, wenn man low-budget essen gehen wollte. Die Altstadt hier ist zwar schön, aber man nimmt auch Altstadt-Preise. 

Nach 15 Minuten war ich an der Uni, und hier war irgendein Fest im Gange. Große Bühnen und Foodtrucks standen an der Straße und erste (bildhübsche) Studentinnen fanden sich ein.

Schön hier!












Ich ging dann weiter und fand das angekündigte Viertel. Hier waren mehrere Imbiss-Buden, aber auch einfache Restaurants. 

Und hübsche Studierende….

2 große Biere und 2 Schweineschnitzel in Rahmsauce mit leckeren Bratkartoffeln später war ich um 12 € ärmer. Genial!

Auf dem Rückweg hatte sich die Partyszene gefüllt. Ein Orchester war auf der Bühne und machte Stimmung. Kein Jazz, kein Pop, keine Ahnung, was das war. Streicher, Bläser und ein hämmerndes Schlagzeug begleiteten eine rumänische Sängerin. 








Aber es war gut und die Stimmung war ebenfalls top. Ich blieb da eine halbe Stunde und es hat mir gut gefallen.


Ganz zum Schluss, als ich durch die Uni zurück zu meiner Unterkunft ging, kam ich an einem Infostand vorbei. Ich schaute wohl etwas zu neugierig und direkt kam ein Mann zu mir. Es schien der Professor zu sein und er erläuterte mir, dass seine Studenten hier ein Wasserstoff getriebenes e-Bike präsentierten. Er war sichtlich stolz und ich habe mich wieder über die Freundlichkeit der Leute hier gefreut!


Kommentare

  1. Ein ziemlich informativer Tag, ich habe mich für dieses Museum interessiert.

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