Reise nach Sighet 7.10.2023

Nachdem ich gestern Abend noch sehr leckere Rippchen in einer leicht nach Zimt schmeckenden Sauce gegessen habe, habe ich auch wieder gut geschlafen. Der Morgen ist eigentlich immer gleich: aufstehen, duschen und dann ein kleines Frühstück bereiten. Das besteht bei mir aus sehr leckerem löslichen Kaffee, den es hier gibt (wirklich) und einem Apfel. 


Das mit dem Duschen hat heute leider nicht geklappt, da das Wasser nicht warm wurde. Aber nach einer WhatsApp an den Betreiber kam auch gleich die Rückmeldung: ich kümmere mich drum! Und wenig später kam dann auch die Entwarnung: Jetzt funktioniert es wieder. Heute habe ich etwas Zeit, also lese ich gemütlich Spiegel, Rheinische Post und X (vormals Twitter). Dann rufe ich mir ein Bolt Taxi und lasse mich zum Bahnhof bringen.




Aber so einfach ging das nicht. Die Bolt-App akzeptierte plötzlich meine Kreditkarte nicht mehr. Also erst mal durch die Menüs hetzen und auf Barzahlung umstellen. Dann klappte es. Mein Fahrer holte (ohne Not) alles aus dem Volvo raus und wir schossen mit 80-90 km/h durch das morgendliche Baia Mare. Und im Radio spielt „cheri cheri Lady“ 😳

Am Busbahnhof dann die Katastrophe. Der 10:30 Bus geht in der Woche, aber nicht am Wochenende. Nächster Bus: 17:30! 

Shit! 

So wie Geier um ein gestorbenes Tier herumsitzen, so warten hier private „Autogeier“ auf gestrandete Touristen. 

200 Lei soll die Fahrt kosten.

200 Lei oder 7 Stunden mit Rucksack rumlaufen? 

Ich biete 150.

Nein.

Ich gehe weg.

Der Fahrer ruft etwas hinter mir her. Ich reagiere nicht.

Jetzt kommt er hinterher und jetzt sind 150 Lei 30€) ok. 

Es ist ein Dacia! Jetzt bin ich wirklich in Rumänien angekommen 😅








Der ältere Herr, der mich fährt, hat vier Semester erfolgreich auf der Michael Schumacher Hochschule für hektisches und riskantes Fahren absolviert. Er quält den kleinen Dacia und mich durch hohe Drehzahken und riskante Überholmanöver. Offensichtlich will er schnell zurück. Seine Kurventechnik ist genial, immer vorausgesetzt, dass uns auf der Gegenspur niemand entgegenkommt.








Wir sind auf einer extrem kurvigen Strecke, die durch eine hügelige oder bergige Waldlandschaft führt. Eine wunderbare Gegend, die Sonne scheint und ab und zu kann man auch in die Täler schauen. 

Mein Fahrer scheint ein Gurtgegner zu sein, auf jeden Fall fährt er ohne Netz und ohne doppelten Boden. Mich würden ja auch die beiden roten Warnleuchten, von der eine auf einen Motordefekt hindeutet, nervös machen. Ihn nicht.


Die Steigungen auf der Strecke werden immer so mit 7-8 % angezeigt und kontinuierlich steigen wir auf über 1000 m hoch. Es wird auch relativ kalt!


Manche Häuser hier sehen aus wie die gestern in Etnographischen Museum. Vor vielen Gehöften sind reich geschnitzte, hölzerne Tore zu sehen. Wunderschön!








Kurz vor zwölf kamen wir in Sighet an. Meine Unterkunft liegt etwas abseits hinter dem Bahnhof. Eigentlich sollte ich erst um 14:00 Uhr einchecken, aber der freundliche Gastgeber hat mich sofort in mein Zimmer gebracht. 


Er spricht ausgezeichnet Englisch und gibt mir sofort Tipps zur Umgebung. Wie ich in die Stadt komme, wo gute Restaurants sind, wo das Tourist Office ist und so weiter. Perfekt! 


Die Region um Sighetu war schon in der Bronzezeit besiedelt. Die ersten Anzeichen für nachchristliche Ansiedlungen stammen aus dem 11. Jahrhundert. Ursprünglich zu Siebenbürgen gehörend, kam die Stadt 1940 nach Ungarn. Die faschistische Regierung deportierte damals ca. 20.000 Juden nach Auschwitz. Heute leben hier noch ca. 100 Juden. Nach dem 2. Weltkrieg kam die Stadt wieder zu Rumänien. In der Stadt gibt es einige Kirchen und Museen, ich will von hier aus Touren unternehmen in die nähere Umgebung, vor allem in das Mara - Tal, wo mehrere der berühmten Kirchen stehen. Das Besondere daran ist, dass die Kirchen der Orthodoxen damals auf Geheiß der katholischen Christen nicht in Stein gebaut werden durften. Also benutzte man überwiegend Pinienholz und versah die Gebäude mit phantastischen Schnitzereien.


Mein Zimmer ist eine Art Einliegerwohnung besteht aus einem hellen Raum mit Kochecke und einem Bad. Als Krönung bringt mir der Gastgeber noch eine Flasche mit einer gehörigen Menge Palinka. Das sollte ich vor dem Essen trinken, dann hätte ich mehr Appetit.

Wir werden sehen! 




Er verrät mir noch einen geheime Weg zum Bahnhof, der durch ein wenig Gestrüpp und dann über die Gleise führt, aber so bin ich schneller in der Stadt. Ich gehe da auch direkt hin und erkundige mich nach Zügen. Der Bahnhof ist total leer und auch die Bahnbeamtin saß nicht an ihrem Platz, sondern weiter hinten im Büro und war offensichtlich sehr überrascht, jemanden zu sehen. 




Wie sich dann herausstellte, geht hier ein Zug morgens um 8:00 Uhr, der für mich relevant sein könnte, wenn ich die Dampf-Eisenbahn benutzen will. Das ist so eines der Highlights hier in der Gegend. Der andere Zug fährt um 16:10 Uhr und geht nach Cluj. Kein Wunder, dass hier nirgendwo ein Fahrplan hängt: für die beiden Destinationen würde sich das nicht lohnen. 


Bei schönstem Wetter mache ich mich auf den Weg in die Innenstadt und nehme ein sehr aufgeräumtes, sauberes und auch stilles Städtchen wahr. Im Zentrum gibt es mehrere Kirchen, einen kleinen Garten und sogar eine Fußgängerzone. Aber die will ich später erkunden. Erst mal suche ich mir einen Platz in der Sonne und trinke einen Kaffee. Nach dem Besuch im Tourist Office gehe ich aber erst mal nach Hause, um mich etwas leichter anzuziehen. In der Sonne ist es ziemlich warm!








Die Stadt ist nachmittags erstaunlicherweise sehr leer. Ich trinke gemütlich einen weiteren Kaffee schlendere durch die Straßen auf der Suche nach der jüdischen Synagoge und dem dazugehörigen Friedhof. Die Synagoge ist leider geschlossen. 




Den Friedhof scheint es nicht mehr zu geben. Auch das Elie Wiesel Haus, dass ein jüdisches Museum beherbergt, war geschlossen. 

Schade. 

Auch bei der reformierten Kirche, einem riesigen Bau, erwartete mich dieses Schicksal. Ich wollte gerade weggehen, als die Kirche anfing, die Glocken zu läuten. 














Das macht man doch normalerweise, um die Gläubigen anzulocken. Also machte ich Kehrt und ging wieder zurück. Eine kleine Nebentür war geöffnet und ich dachte: okay solange da nicht „betreten verboten“ dran steht, gehe ich da einfach mal rein. Ich kletterte drei Treppen hoch und sah mich einem kräftigen Wachmann gegenüber. 


Ich machte ihm mit Zeichensprache klar, dass ich gerne die Kirche sehen würde, und er nickte. Wir stiegen noch eine Treppe höher und standen plötzlich auf der Empore oder dem Balkon der Kirche. Hinter uns die Orgel, unter uns, die Reihen mit den Sitzen und der Altar. Eine sehr schlichte alte Kirche, aber durch die Perspektive durchaus reizvoll. Obwohl überall Schilder waren „fotografieren verboten“, fragte ich ihn, ob ich Bilder machen könne und er nickte. So einfach kann das sein.


Zufällig komme ich an einem riesigen orthodoxen Tempel vorbei. Das Auffällige ist, dass die Basis eine Betonkonstruktion ist, aber alles, was in die Höhe strebt, mit Ziegeln gebaut worden ist. Diese gigantische Bau besteht komplett aus Ziegeln und man sieht, obwohl keine Fenster drin sind, keinerlei Gerüste oder sonst irgend sowas. 

Im Keller ist eine kleine Kapelle eingerichtet, die offensichtlich nur notdürftig funktionieren soll. Ein ganz seltsamer Bau, wahrscheinlich aber eine Bauruine.














Ich fürchte, die Stadt ist müde, weil hier nichts geöffnet hat. Oder sie sind alle auf einer Hochzeit, bei der ich gerade vorbeikam. Vor dem Standesamt stand die Hochzeitsgesellschaft und wartete auf Vollzug. 


Alle waren sehr festlich gekleidet, die Frauen in beeindruckenden Roben und die Autos alle geputzt bis zum geht-nicht-mehr und mit irgendwelchen Dingen geschmückt . Ein paar Minuten später hörte ich dann auch das Gehupe. Offensichtlich war das Brautpaar rausgekommen.

Ich ging nun langsam zu meiner Unterkunft, die Navigation in dieser kleinen Stadt ist aber auch denkbar einfach. Einfach in Richtung Ukraine gehen und kurz vorher rechts abbiegen.


Keine 3 Minuten von meiner Unterkunft ist die Grenze zur Ukraine. Ich bin mal hingegangen und fand, dass sie wesentlich entspannter war, als die Grenze in der Nähe von Opole/Polen, über die ich vor ein paar Wochen gefahren bin. 




Direkt am Grenzübergang ist ein Café und die Leute sitzen hier vielleicht 50 m entfernt vom Krieg und genießen ihren Kaffee in der Herbstsonne. 


Ich hab öfter mal mit Rumänen über die Bedrohung geredet, aber die Antwort war immer: wir haben keine Angst, wir sind ja in der NATO. Also ich wäre nicht so entspannt, wenn ich so dicht an einem Krisenherd leben würde.


Schade. Die Brücke ist historisch und sollte die Verbundenheit der Rumänen und der Ukrainer zeigen. Schade…


Kommentare

  1. Wie drückt man sich in Gebärdensprache aus: Ich möchte hineingehen und sehen und kann ich Fotos machen?

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